Archiv der Kategorie: Politik

Baumgrenze

„War das nötig?“ möchte man fragen, in Anbetracht der gigantischen Welle der Vernichtung, die uns in diesen Tagen die Stimmung verhagelt. Der Thailandurlauber muss an dieser Stelle nicht erschrocken zusammenzucken. Die nächste Pauschalreise kommt bestimmt. Gemeint ist die landesweite Entsorgung der Weihnachtsbäume. Rund 28 Millionen Tannen wurden irgendwann im Dezember für über 615 Millionen Euro (ja so viel Geld ist tatsächlich noch vorhanden im Lande) gekauft, geschmückt und geworfen. Aus den Wohnzimmern nämlich. Selbst der geschickteste Sparfuchs, der den eigenen Geiz gerne in seinem Umweltbewußtsein begründet sieht, klemmt für zwei Wochen eine luxusverdächtige Nordmann-Tanne in den Ständer. Der Weihnachtsbaum als Prestige-Objekt für jedermann.

Brauchtum, Tradition, Religion sind Motive für den Umweltsündenfall. Die gigantische Anzahl an benötigten Tannen braucht 40.000 Hektar Fläche, um so wachsen zu können, wie wir unsere Weihnachtsbäume wünschen. Die romantische Vorstellung, der Baum, unter dem unser Geschenke liegen, sei in freier Natur gewachsen, ist freilich ein Trugschluss. Vielmehr handelt es sich um systematischen Anbau. In der Praxis werden endlose Reihen kleiner Weihnachtsbaum-Setzlinge (noch ohne Kugeln und mundgeblasener Spitze) angepflanzt, denen – je nach Größe –  4 bis 8 Jahre Zeit gegeben wird ein wohnzimmertaugliches Ausmaß anzunehmen.  Zu diesem Zeitpunkt haben die Setzlinge bereits 3 bis 4 Jahre auf dem Buckel. Die „industrielle Produktion“ von Weihnachtsbäumen ist eine langwierige Angelenheit.

Der belesene Skeptiker wird wissen, dass ein großer Teil der deutschen Weihnachtsbäume aus Dänemark kommt. „Die haben’s nicht anders verdient mit ihrem Gammelfisch in Dosen, ihrem Knäckebrot und den Coffee-Shops!“ könnte vorschnell geschlossen werden. Man bedenke jedoch, dass auch im deutschen Sauerland und in Schleswig-Holstein nicht unerhebliche Flächen bebaut werden. Außerdem ist Umweltschutz ohnehin längstens Thema des EU-Parlaments.

Die Gefahren liegen also nicht, wie zunächst vermutet, in der einfachen Abholzung von Tannen. Es sind die klassischen Problematiken von Monokulturen, die die Freude am Weihnachtsbaum trüben: Wäre man dem Borkenkäfer in der Vergangenheit nicht rechtzeitig mit der chemischen Keule zu Leibe gerückt, hätte es in einigen Haushalten unfreiwillig Bescherung unterm Plastikbaum geben müssen. Dass so erhebliche Eingriffe in das Ökosystem Wald nicht ohne Folgen bleiben dürfte klar sein. Wild, das sich am Maschendrahtzaun der Weihnachtsbaum-Plantage verletzt und im schlimmsten Fall verendet, muss vom Jäger nicht mehr geschossen werden. Eine überspitzt formulierte Wahrheit, die in ihrer Brutalität offenbart, wie gestört das Gleichgewicht ohnehin bereits ist.

Wo der Mensch feiert fallen Späne. Beim Weihnachtsbaum ist das nicht mehr nur eine Metapher. Hinzu kommen Abfälle wie Lametta und sonstiger Baumschmuck, der – im Gegensatz zu Kugeln –  nicht wiederverwendet wird und irrsinnige Stromverschwendung durch größenwahnsinnige Hausbeleuchtungen nach amerikanischem Vorbild.

Auch hier gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Niemand möchte auf den Weihnachtsbaum verzichten. Selbst die Parteispitzen der Grünen verschenken ihre Strickpullover aufwendig verpackt, mit Bastschleife unterm…, richtig: Weihnachtsbaum. Haben wir hier ein bald wahlentscheidendes politisches Thema aufgetan? Stichwort: Baumsteuer. Warum nicht? Soziale Gerechtigkeit pro Laufmeter. Der kleine Mann sieht doch vor Bäumen sowieso den Wald nicht mehr und die Leistungsträger unserer Gesellschaft fliegen entspannt mit ihren Hubschraubern und Charter-Jets drüber hinweg. Liebe Vielverdiener, ihr seid Weihnachten! Dieses Jahr geht der Trend zum Zweitbaum.

In diesem Sinne: Guten Start in’s neue Jahr.

2 Kommentare

Eingeordnet unter Natur und Umwelt, Politik, Was ewig bleibt ist die Zerissenheit